2016/10/30

Adelsname und Europäische Rechtsprechung

Im Juni 2016 hat der Europäische Gerichtshof in einer Frage entschieden, die uns auch immer wieder vorgelegt wird. Kann man einen Namen, der ein Adelsprädikat verwendet, in jedem europäischen Land tragen?

 Art. 21 AEUV ist dahin auszulegen, dass die Behörden eines Mitgliedstaats nicht verpflichtet sind, den Nachnamen eines Angehörigen dieses Mitgliedstaats anzuerkennen, wenn dieser auch die Angehörigkeit eines anderen Mitgliedstaats besitzt, in dem er diesen Namen erworben hat, den er frei gewählt hat und der mehrere nach dem Recht des erstgenannten Mitgliedstaats nicht zulässige Adelsbestandteile enthält, sofern, was zu überprüfen dem vorlegenden Gericht zukommt, erwiesen ist, dass eine solche Ablehnung der Anerkennung in diesem Zusammenhang insoweit aus Gründen der öffentlichen Ordnung gerechtfertigt ist, als sie geeignet und erforderlich ist, um sicherzustellen, dass der Grundsatz der Gleichheit aller Bürger des besagten Mitgliedstaats vor dem Gesetz gewahrt wird.
Ausgangspunkt der Konstellation war, dass das Standesamt der Stadt Chemnitz sich unter Berufung auf Art. 10 EGBGB weigerte, die Tochter der Familie unter ihrem - ausweislich der Geburtsurkunde - britischen Namen "Gräfin von ... Freiin von ... einzutragen. In den sachlichen Anwendungsbereich des Unionsrechts fallenSituationen, die sich auf die Ausübung der durch den Vertrag garantierten Grundfreiheiten beziehen. Dazu gehörten die Situationen, in denen es um die Freiheit geht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten zu bewegen und aufzuhalten, wie sie mit Art. 21 AEUV verliehen wird.  Vorschriften über die Umschrift von Vor- und Nachnamen einer Person in Personenstandsurkunden fallen nach Darstellung des Gericht zwar beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, doch müssen diese bei der Ausübung dieser Zuständigkeit gleichwohl das Unionsrecht und insbesondere die Vertragsbestimmungen über die jedem Unionsbürger zuerkannte Freiheit, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten zu bewegen und aufzuhalten, beachten. Das Gericht wies darauf hin, dass Vor- und Nachnamen einer Person Teil ihrer Identität und ihres Privatlebens sind, deren Schutz in Art. 7 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) und in Art. 8 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK) verankert seien. Auch wenn in Art. 7 der Charta nicht ausdrücklich erwähnt, betreffen Vor- und Nachnamen einer Person als Mittel zur persönlichen Identifizierung und zur Zuordnung zu einer Familie dennoch das Privat- und Familienleben dieser Person. Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich, dass es die Ausübung des in Art. 21 AEUV verankerten Rechts, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, behindern kann, wenn die Behörden eines Mitgliedstaats es ablehnen, den Nachnamen eines Angehörigen dieses Staates, der von seinem Recht auf Freizügigkeit und freien Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats Gebrauch gemacht hat, so anzuerkennen, wie er dort bestimmt wurde. Dabei sah das Gericht sehr klar, dass hier Probleme auftauchen können, die wir auch in unserer Praxis immer wieder beobachtet haben. Eine Abweichung zwischen den beiden Namen, die für dieselbe Person verwendet werden, könne zu Missverständnissen und Nachteilen führen. Das Gericht setzte die Anforderungen an relevante Nachteile dabei recht hoch an: Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergebe sich, dass die Weigerung, Vor- und Nachnamen eines Angehörigen eines Mitgliedstaats zu ändern und die von ihm in einem anderen Mitgliedstaat erworbenen Vor- und Nachnamen anzuerkennen, nur dann eine Beschränkung der durch Art. 21 AEUV zuerkannten Freiheiten darstellt, wenn dem Bürger daraus „schwerwiegende Nachteile“ administrativer, beruflicher und privater Art erwachsen können.  
So habe das Gericht festgestellt, dass jedes Mal, wenn der in einer konkreten Situation benutzte Nachname nicht demjenigen entspricht, der in dem Dokument steht, das zum Nachweis der Identität einer Person vorgelegt wird, oder wenn in zwei zusammen vorgelegten Dokumenten nicht derselbe Nachname steht, eine solche Divergenz hinsichtlich des Nachnamens Zweifel an der Identität der Person, an der Echtheit der Dokumente oder an der Wahrheitsgemäßheit der darin enthaltenen Angaben wecken kann (Urteil Grunkin und Paul). Weiterhin hielt der Gerichtshof im Fall einer Person, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt, der dem Nachnamen die Anerkennung verweigert, den sie infolge ihrer Adoption in einem anderen Mitgliedstaat, wo sie wohnt, erworben hat, die konkrete Gefahr, aufgrund der Verschiedenheit der Nachnamen Zweifel an der Identität der eigenen Person ausräumen zu müssen, für einen Umstand, der geeignet ist, die Ausübung des aus Art. 21 AEUV fließenden Rechts zu behindern. Letztlich liefe es aber der Regelungsabsicht des deutschen Gesetzgebers zuwider, wenn deutsche Staatsangehörige die aufgehobenen Adelsbezeichnungen erneut annehmen könnten, indem sie sich das Recht eines anderen Mitgliedstaats zunutze machten. Offensichtlich fürchtete das Gericht eine Vielzahl neuer Verfahren. Eine systematische Anerkennung von Namensänderungen wie der in Rede stehenden könnte aber zu diesem Resultat führen. Zum anderen sei zu berücksichtigen, dass die Namensänderung auf einer Entscheidung aus rein persönlichen Gründen des Antragstellers des Ausgangsverfahrens beruht, dass die daraus folgende Namensabweichung weder auf die Umstände der Geburt des Betroffenen noch auf eine Adoption und auch nicht auf den Erwerb der britischen Staatsangehörigkeit zurückgeht und dass der im Vereinigten Königreich gewählte Name Bestandteile enthält, die, ohne in Deutschland oder im Vereinigten Königreich formell Adelsbezeichnungen darzustellen, den Anschein einer adeligen Herkunft erwecken.

Rechtsanwaltskanzlei Dr. Palm

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