2013/09/26

Mobbing Bundesarbeitsgericht - Was sind offenkundige Tatsachen?

Immer wieder stellt sich das Problem, welche Fakten ein Gericht seiner Beurteilung zugrundelegen darf. Geht es um offenkundige Tatsachen oder handelt es sich bei einem vermeintlichen Faktum doch bloß ein "Vorurteil"? Das kann für den Ausgang eines Verfahrens sehr wichtig werden. Dabei wäre eine Verletzung des rechtlichen Gehörs zu einer solchen Einschätzung ein wichtiger Umstand, der in Rechtsmittelverfahren ggf. erfolgreich vorgetragen werden. Das BAG hat seiner Entscheidung vom 28.10.2010 - 8 AZR 546/09 dazu dezidiert Stellung genommen: Es ging um die Verletzung des Persönlichkeitsrecht eines Klägers durch handschriftliche  Vermerke des Vorgesetzten auf einem Bericht des Klägers.  Der Kläger hatte die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gerügt, da es das Vorgericht unterlassen habe, ihm einen nach § 139 Abs. 2 ZPO gebotenen Hinweis zu erteilen. Das Landesarbeitsgericht hätte darauf hinweisen müssen, dass es aufgrund eines eigenen Erfahrungshorizonts davon ausgehe, derartige Bemerkungen in einem Vermerk brächten keine Sonderbehandlung gegenüber dem Kläger zum Ausdruck und dass es aufgrund seines eigenen Erfahrungshorizonts auch nicht unüblich erscheine, dass sich Vorgesetzte im Rahmen ihrer Vermerke auf Berichten von Untergebenen derart ins Persönliche gehende Bemerkungen erlaubten. Dabei wurde in der Begründung des Rechtsmittels auch moniert, dass der eigene Erfahrungshorizont vom Landesarbeitsgericht weder offen gelegt worden sei  noch dargelegt worden sei. Der Kläger erklärte, dass er im Falle der gebotenen Hinweise durch das Landesarbeitsgericht erläutert hätte, warum die in Rede stehenden Bemerkungen des Arbeitgebers gerade nicht der Üblichkeit entsprächen. Das Landesarbeitsgericht wäre zu dem Ergebnis gelangt, dass es sich gerade nicht um eine im Arbeitsleben übliche Konfliktsituation gehandelt habe und es hätte das Vorhandensein einer schweren Persönlichkeitsrechtsverletzung angenommen. Diese schwere Persönlichkeitsrechtsverletzung hätte in Verbindung mit den festgestellten Persönlichkeitsrechtsverletzungen das Landesarbeitsgericht zu der Entscheidung gebracht, dass gegenüber dem Kläger tatsächlich Mobbinghandlungen ausgeführt worden seien und das Urteil wäre zu Gunsten des Klägers ausgefallen. 
Bundesarbeitsgericht Erfurt 
 
Das Bundesarbeitsgericht hat im Blick auf diesen Vortrag erläutert:  Neben dem Parteivorbringen darf das Gericht bei seiner Entscheidung auch offenkundige Tatsachen iSv. § 291 ZPO verwerten. Offenkundig ist eine Tatsache dann, wenn sie zumindest am Gerichtsort der Allgemeinheit bekannt oder ohne besondere Fachkunde - auch durch Information aus allgemein zugänglichen zuverlässigen Quellen - feststellbar ist. Offenkundig kann eine Tatsache auch dann sein, wenn der Richter sie aus seiner jetzigen oder früheren amtlichen Tätigkeit kennt („gerichtskundige Tatsachen“). Das gilt nach dem BAG allerdings nur dann, wenn die zur Entscheidung berufenen Richter sich nicht erst durch Vorlegung von Akten erneut informieren müssen. Wichtig ist sodann folgender Hinweis: Solche offenkundigen oder gerichtskundigen Tatsachen sind seitens des Gerichts in die mündliche Verhandlung einzuführen, um den in Art. 103 Abs. 1 GG normierten Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs vor Gericht zu sichern. Nur solche Tatsachen, Beweisergebnisse und Äußerungen anderer dürfen zugrunde gelegt werden, zu denen die Streitbeteiligten Stellung nehmen konnten. Hier lag der Fehler des  Landesarbeitsgerichts, das seinen „Erfahrungshorizont“ in der mündlichen Verhandlung nicht dargelegt hat und dem Kläger die Möglichkeit genommen, sich damit auseinanderzusetzen und ihn gegebenenfalls zu widerlegen.
 
Dabei handelt es sich bei dem Umstand, derartige ins Persönliche gehende Bemerkungen auf Sachberichten seien in der Verwaltung des Landeskriminalamts üblich, weder um eine offenkundige noch um eine gerichtskundige Tatsache, unabhängig davon, dass sie in die mündliche Verhandlung hätte eingeführt werden müssen. Auf diesem Verfahrensfehler kann die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts auch beruhen, da bei korrektem Verfahren das Berufungsgericht möglicherweise anders entschieden hätte. 
 

Das Vorgericht hatte somit  den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt, indem es der Entscheidung seinen eigenen Erfahrungshorizont zugrunde gelegt hat, ohne diesen zuvor den Verfahrensbeteiligten offen zu legen.

Rechtsanwaltskanzlei Dr. Palm

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