2009/02/10

Kündigung - Schwerbehinderung - Kenntnis des Arbeitnehmers

Ausgangsfall: "Verschlimmerungsantrag", gerichtet auf Anerkennung einer Schwerbehinderung mit einem GdB von mindestens 50 oder Gleichstellungsantrag vor Ausspruch der angegriffenen Kündigung gestellt. Voraussetzung für den Erhalt der Rechte nach dem Schwerbehindertenrecht ist die Mitteilung des Arbeitnehmers, er "berufe sich" auf seine Schwerbehinderung, welche behördlich anerkannt oder deren Anerkennung bereits beantragt sei.

Sinn und Zweck der von der Rechtsprechung entwickelten Mitteilungsverpflichtung des Arbeitnehmers liegen nach dem Landesarbeitsgericht Hamm in einer Entscheidung aus dem Jahre 2005 darin, dem Arbeitgeber, der in Unkenntnis der (bereits bestehenden oder beantragten) Schwerbehinderteneigenschaft bzw. Gleichstellung eine Kündigung ausgesprochen hat und aus diesem Grunde - für den Fall, dass der gestellte Antrag erfolgreich beschieden wird - mit dem Risiko der Unwirksamkeit der Kündigung belastet ist, Gelegenheit zu geben, zeitnah beim Integrationsamt einen Zustimmungsantrag zu stellen, um so die formellen Voraussetzungen für eine möglichst zeitnahe erneute Kündigung zu schaffen. Teilt der Arbeitnehmer also binnen eines Monats nach Zugang der Kündigung seine festgestellte Schwerbehinderung bzw. zuerkannte Gleichstellung mit oder beruft er sich - unter Hinweis auf einen konkret bezeichneten Antrag oder auch nur allgemein - darauf, Rechte nach den Regeln des Schwerbehindertenrechts in Anspruch nehmen zu wollen und aus diesem Grunde die hierzu erforderlichen behördlichen Schritte unternommen zu haben, so ist bereits auch durch einen so allgemein gehaltenen Hinweis der Arbeitgeber in die Lage versetzt, seinerseits vorsorglich die Zustimmung beim Integrationsamt oder die Erteilung eines Negativattestes zu beantragen. Wenn der Arbeitgeber daran zweifelt, dass dem Begehren überhaupt ein entsprechender behördlicher Antrag zugrunde liegt, steht ihm die Möglichkeit der Beantragung eines Negativattestes offen. Weitergehend als diese Rechtsprechung ist wohl das Arbeitsgericht Bonn in einer Entscheidung aus dem Jahre 2004. Der Sonderkündigungsschutz für Schwerbehinderte soll nach der gesetzlichen Neuregelung des § 90 Abs 2 Buchst a SGB IX auch dann gelten, wie es verschiedentlich entschieden wurde, wenn das Integrationsamt die Schwerbehinderung nach einem zunächst verneinenden Bescheid erst nach Widerspruch und Klageerhebung nach Zugang der Kündigung rückwirkend auf den Zeitpunkt der Antragstellung - vor dem Zugang der Kündigung - feststellt.

Das BAG konstatiert nun folgendes: Der Arbeitnehmer muss, wenn er sich den Sonderkündigungsschutz nach § 85 SGB IX erhalten will, nach Zugang der - ordentlichen oder außerordentlichen - Kündigung innerhalb einer angemessenen Frist, die regelmäßig einen Monat beträgt, gegenüber dem Arbeitgeber seine bereits festgestellte oder zur Feststellung beantragte Schwerbehinderteneigenschaft geltend machen. Unterlässt der Arbeitnehmer diese Mitteilung, ist die Kündigung jedenfalls nicht bereits wegen der fehlenden Zustimmung des Integrationsamts unwirksam. Der Arbeitnehmer hat dann den besonderen Kündigungsschutz als Schwerbehinderter verwirkt. Vor dem Hintergrund der Neufassung des SGB IX und des § 4 KSchG erwägt der Senat, in Zukunft von einer Regelfrist von drei Wochen auszugehen, innerhalb derer der Arbeitnehmer nach Zugang der Kündigung dem Arbeitgeber seine Schwerbehinderung oder den entsprechenden Feststellungsantrag mitteilen muss (BAG 2006). Wenn der Senat zu § 85 SGB IX bisher darauf abgestellt hat, den schwerbehinderten Menschen treffe die Obliegenheit, bei Unkenntnis des Arbeitgebers von der Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch bzw. der Antragstellung beim Versorgungsamt diesen innerhalb einer Frist von regelmäßig einem Monat (zu berücksichtigen ist hier aber die Ankündigung des Senats, künftig eine Regelfrist von drei Wochen in Anlehnung an § 4 KSchG zu erwägen) auf den besonderen Kündigungsschutz hinzuweisen, so ist dies aus Vertrauensschutzgesichtspunkten gerechtfertigt (BAG 2008). Fazit: Es ist kein Fehler, sondern ganz im Gegenteil unter Umständen spielentscheidend rechtzeitig dem Arbeitgeber Mitteilung von der Schwerbehinderung bzw. entsprechenden Anträgen zu machen, jedenfalls dann, wenn eine Kündigung im Raum steht bzw. ausgesprochen ist.

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