2009/03/21

Wenn der Unterhalt nach Billigkeit beurteilt wird...

Billigkeit ist seit Aristoteles die Form der Gerechtigkeit, die noch gerechter ist, wenn jene andere Gerechtigkeit noch keine zureichenden Ergebnisse zeitigt. Das hört sich paradox an und kann es auch sein, wenn Gerechtigkeit auf die Abstraktheit der Gesetze bezogen wird. So regelt der Gesetzgeber, die Subsumtion des Richters kommt noch zu keinem guten Ergebnis und nun schlägt die Stunde der "Billigkeit". Billigkeit, mit anderen Worten, justiert, was in abstrakter Überlegung den Regelungsfall verfehlt. D.h. der Richter ist gefragt und Kriterien, die hier richtig sind, es dort in einem anderen Fall aber nicht sein müssen. Der Gesetzgeber tut meistens gut daran, die Billigkeit einzudämmen. Was dem einen billig erscheint, ist dem anderen unbillig oder eben ungerecht. Denn das gemeinsame Moment der Gerechtigkeit, das Vergleiche zulässt, ist im Fall der Billigkeit stark relativiert, wenn nicht gar aufgehoben. Nun hat der Gesetzgeber sich in einigen Unterhaltskonstellationen für Billigkeit entschieden:

Aktuell ist die Entscheidung des Bundesgerichtshofs im Urteil vom 18. März 2009 XII ZR 74/08: Für die Zeit ab Vollendung des dritten Lebensjahres steht dem betreuenden Elternteil nach der Novellierung nur noch ein Anspruch auf Betreuungsunterhalt aus Billigkeitsgründen zu. Das führt nicht zu einem abrupten Wechsel von der elterlichen Betreuung zu einer Vollzeiterwerbstätigkeit. Nach Maßgabe der im Gesetz genannten kind- und elternbezogenen Gründe ist auch nach dem neuen Unterhaltsrecht, so der Bundesgerichtshof, ein gestufter Übergang bis hin zu einer Vollzeiterwerbstätigkeit möglich.

Im Rahmen der Billigkeitsprüfung haben kindbezogene Verlängerungsgründe das stärkste Gewicht. Primär ist deswegen stets der individuelle Umstand zu prüfen, ob und in welchem Umfang die Betreuung des Kindes auf andere Weise gesichert ist. Dabei gibt das Gericht zu bedenken, dass der Gesetzgeber mit der Neugestaltung des nachehelichen Betreuungsunterhalts in § 1570 BGB für Kinder ab Vollendung des dritten Lebensjahres den Vorrang der persönlichen Betreuung durch die Eltern gegenüber einer anderen kindgerechten Betreuung aufgegeben hat. Damit hat der Gesetzgeber auf den zahlreichen sozialstaatlichen Leistungen und Regelungen aufgebaut, die den Eltern dabei behilflich sein sollen, Erwerbstätigkeit und Kindererziehung besser miteinander vereinbaren zu können, insbesondere auf den Anspruch des Kindes auf den Besuch einer Tagespflege. In dem Umfang, in dem das Kind nach Vollendung des dritten Lebensjahres eine solche Einrichtung besucht oder unter Berücksichtigung der individuellen Verhältnisse besuchen könnte, kann sich der betreuende Elternteil also nicht mehr auf die Notwendigkeit einer persönlichen Betreuung des Kindes berufen.

Soweit demgegenüber in Rechtsprechung und Literatur zu der seit dem 1. Januar 2008 geltenden Fassung des § 1570 BGB abweichende Auffassungen vertreten werden, die an das frühere Altersphasenmodell anknüpfen und eine Verlängerung des Betreuungsunterhalts allein vom Kindesalter abhängig machen, sind diese im Hinblick auf den eindeutigen Willen des Gesetzgebers nicht haltbar. Soweit die Betreuung des Kindes sichergestellt oder auf andere Weise kindgerecht möglich ist, können einer Erwerbsobliegenheit des betreuenden Elternteils allerdings auch andere Gründe entgegenstehen, insbesondere der Umstand, dass der ihm verbleibende Betreuungsanteil neben der Erwerbstätigkeit zu einer überobligationsmäßigen Belastung führen kann. Hinzu kommen weitere Gründe nachehelicher Solidarität, etwa ein in der Ehe gewachsenes Vertrauen in die vereinbarte und praktizierte Rollenverteilung und die gemeinsame Ausgestaltung der Kinderbetreuung.

Die Billigkeit ist ein sehr ambivalentes Tatbestandsmerkmal, das in seiner Wirkung gerade nicht einseitig zu Gunsten des Verpflichteten oder Berechtigten eingeschätzt werden kann. Denn was billig ist, eröffnet verschiedenartigste Überlegungen, die von Gericht zu Gericht wechseln können. Wer die Eigenständigkeit des Berechtigten hervorhebt, wird dem Aspekt nachehelicher Solidarität weniger Bedeutung beimessen. Hier werden Güterabwägungen verhandelt, die vor allem deshalb justiziabel sind, weil auf dieser fragilen Grundlage entschieden werden muss. Solange die Dogmatik sich nicht eindeutig entwickelt, ist daher mit erheblichen Unsicherheiten zu rechnen. Diese Unsicherheit ist durch das vorstehende Urteil nicht beendet. Weiterhin werden die Amtsgerichte und Oberlandesgerichte mit der Konstellation kämpfen müssen, dass der oder die Fordernde nun endlich selbst für sich sorgen soll, während diese auf immense Schwierigkeiten verweisen. Die Kinder sind schwer erziehbar, gar psychisch krank, der Betreuungsaufwand sei riesig. Der Arbeitsmarkt sei verschlossen oder biete wundervolle Jobs. Manchmal stimmt es und manchmal nicht. Die Schattengefechte von den echten Problemfällen zu unterscheiden wird wieder unzählige Prozesse auslösen, die nun im Zeichen der Billigkeit mit allen möglichen Argumenten geführt werden können - bis hin zu der Frage, wann ein Argument keines mehr ist. Die Billigkeit wird diese unendlichen Regresse nach Gerechtigkeit nicht beantworten. Und deshalb wird eben prozessiert. Vielleicht sollte man daher mit "Billigkeit" als Gesetzgeber so sparsam verfahren, wie man es sich leisten kann. Im Zweifel sollte sich der Gesetzgeber einer Rechtsordnung mit abstrakten Gesetzen nicht auf die Billigkeit verlassen, weil die unbefriedeten Konflikte vorgezeichnet werden und das alles andere als prozessökonomisch sinnvoll ist.

Dr. Palm

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